Zeitzeuge beweist:
Grab war leer – Jesus hat es nie gegeben!

Gehen Sie bitte weiter, hier gibt es nichts zu sehen!
Bild © Markus P. Ahasver

Von Joseph Geelhaar.

JERUSALEM, 6. April. „Jesus hat es nie gegeben, und ich kann es beweisen!“ verkündet Markus Ahasver stolz und zufrieden. Er lehnt sich vor, blickt verschwörerisch nach beiden Seiten und fügt mit gedämpfter Stimme hinzu: „Sein Grab war nämlich leer!“ Dann streicht seine grüne Schürze glatt und legt sich auf seinem Gartenstuhl wieder zurück.

Wir sitzen auf der Dachterrasse von Markus Pontius Ahasver an der El-Mansurija-Straße in der Altstadt von Jerusalem und trinken Tee, als mir der Hausherr, ein erstaunlich jung gebliebener Mann von 2048 Jahren, der unter seinen jüdischen Nachbarn nie besonders beliebt war, seine Geschichte erzählt.

Der bärtige Intellektuelle wurde in kleine Verhältnisse geboren. Auch Ahasvers Vater, ein Schuster, war schon ein Unangepaßter: den eigenen Sohn nach einem Perserkönig zu benennen, das galt auch am Ende der Makkabäerzeit noch nicht als unbedingt schicklich.

Das Ereignis, das den Israeli bis heute beschäftigt, seine Lebenswende sozusagen, geschah jedoch erst im Jahre 29. Damals hatte er nach vielen Semestern sein Philosophiestudium in Alexandrien abgebrochen und nach einigen Jahren im Dienst des römischen Statthalters eine Anstellung als Olivengärtner gefunden. Eines Freitags – an einem Tag wie jeder andere – saß er in der Mittagspause vor seinem Eigenheim, um zum Tode Verurteilte zu verspotten – damals eine beliebte Freizeitbeschäftigung unter Kollaborateuren der Besatzungsmacht.

Als wieder ein Verurteilter vorbeigeführt wurde, bat der, einen Augenblick vor Ahasvers Haus rasten zu dürfen; doch der zeigte nur stumm auf das dort befindliche Schild: „Rasen betreten verboten!“ Auch heute würde Ahasver wieder dasselbe tun: „Was sollte ich denn machen?“ entschuldigt er sich, während er sich unter seinem Strohhut hinterm Ohr kratzt. „Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben – da könnte ja jeder kommen!“ Doch der Verbrecher reagierte giftig. „Völlig überzogen“, so Ahasver. „Wollte mir wohl meinen schönen englischen Rasen mit seinem Blut besudeln und mir mit seinem schweren Kreuz die Krokusse plätten! Aber nicht mit mir!“ Später erfuhr er, daß es sich um den angeblichen Jesus von Nazareth gehandelt habe.

Am Nachmittag bekam Ahasver wieder Arbeit: er sollte trotz schlechtem Wetter das Grab eines Großkopferten herrichten, das in seinem Garten lag. Auch das gehört zu seinen Aufgaben. Doch wen sie brachten, war der halbstarke Rowdy vom Mittag! Ahasver sah es gelassen: „Na ja, geht mich nüscht an, was die Leute mit ihren teuren Gräbern so anstellen. Von außen sieht man’s ja nicht.“ Er half sogar, den Stein vor die Öffnung des Grabes zu wälzen: „Ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen! Denn der Stein war verdammt schwer.“ Zur Sicherheit meldete er die Sache aber sogleich den Behörden, die zwei Soldaten zur Bewachung schickten.

Am nächsten Tag, einem Sonnabend, an dem Ahasver wie jede Woche zum Ärger der Nachbarn den ganzen Tag seinen Rasen mähte („Wenn ich schon mal frei habe, mache ich auch, was mir paßt!“), geschah nichts besonderes. Doch in der folgenden Nacht gab es plötzlich Rumor in Gat-Schmanim: es krachte und rumpelte, und für kurze Zeit war der ganze Garten hell erleuchtet. „Wahrscheinlich Bengalos! Dachte ich mir doch, daß diese Asozialen noch Radau machen würden!“ meint Ahasver. „Ich blieb aber im Bett – lass’ mir doch von irgendwelchen Krawallbrüdern nicht den Schönheitsschlaf rauben!“

Als er morgens an seinen Arbeitsplatz ging, um den Vandalismus penibel zu dokumentieren, kam ihm unter den Olivenbäumen eine junge Frau entgegen. „Das war irgend so ’ne verheulte Irre: Kiekte mich an, lachte, sagte: ‚Wie konnte ich ihn nur mit Ihnen verwechseln!‘ und lief weiter. Total bescheuert!“

Doch als er zum Grab kam, machte er die Entdeckung: Nicht nur waren die Soldaten weg – „Typisch! Faules Pack!“ –, nein sondern das Grab war dazu auch noch leer, der Stein war weggerollt! Er sah die Leinenbinden liegen und das Schweißtuch, das auf dem Kopf des angeblichen Leichnams gelegen hatte; es lag aber nicht bei den Leinenbinden, sondern zusammengebunden daneben an einer besonderen Stelle. „Ich sah und glaubte es nicht!“ so Ahasver: „Da hatte überhaupt niemand dringelegen! Das Grab war ja leer – Jesus hatte es nie gegeben!“

Aber er sei Jesus doch begegnet und habe seine Leiche gesehen? „Ach komm! Trauen Sie etwa Ihren Augen?“ lacht Ahasver. „Die Leute sehen doch allen möglichen Quatsch und glauben das dann! Nein, nein, mein Freund! Ich habe zwar meinen letzten Hauptseminarschein nie gemacht, aber ich bin immer noch pyrrhonischer Skeptiker! Sie können ja gerne weiterhin glauben, daß Chiara Ohoven von Natur aus volle Lippen hat, aber ich bin da weiter. Das ist eine Frage der Epistemologie, der Wahrnehmungslehre: mit den trügerischen Sinnen können Sie mir nicht kommen!“

Und das leere Grab? „Na, davon habe ich doch Fotos!“ Ahasver nestelt sein Smartphone hervor. Und tatsächlich: unwiderleglich ist alles zu sehen: ein leeres Grab, zusammengelegte Leinentücher mit Pollen und Blutspuren, ein Engel auf einem runden Stein. Niemand kann es bestreiten: das Grab war leer – Jesus hat es nie gegeben! Denn von Jesus gibt es keine Fotos.

Für Ahasver steht fest, daß man die Anwesenheit Jesu auf der Erde nie wissenschaftlich wird nachweisen können: da fehle einfach die Reproduzierbarkeit. Und was man wissenschaftlich nicht nachweisen könne, gebe es auch nicht, das sei ja amtlich. Die Bilder von seiner Nichtanwesenheit dagegen kann er immer wieder hervorholen. „Wissenschaftstheorie!“ grinst Proseminarist Ahasver: „Davon verstehen eben die wenigsten was.“

Die Bedeutung seines dokumentarischen Materials wurde dem verhinderten Philosophen erst nach einigen Wochen klar, als plötzlich überall Leute von dem angeblichen Jesus erzählten: er habe sich geopfert, er sei gestorben, er werde wiederkommen. Alles Quatsch, weiß Gärtner Ahasver. „Ich kann es einfach nicht haben, wenn die Leute sich irren. Aber am meisten störte mich dieser ekelhafte missionarische Eifer, den diese Leute an den Tag legten.“

Ahasver erzählte also in ganz Jerusalem seine Geschichte vom leeren Grab – doch es ließ sich einfach niemand, der nicht schon vorher vernünftig gewesen war, von seinem Glauben abbringen! Daraufhin geriet Ahasver in eine Lebenskrise: er hörte auf, sich zu rasieren, und machte eine Weltreise, um die Leute von seiner Sicht der Dinge zu überzeugen. Später verbrachte er seinen Jahresurlaub jedesmal an einem anderen Ort der Welt: Frankreich, Armenien, China, Äthiopien, hielt Vorträge, versuchte aufzuklären.

„Es war so verrückt: Überall, wo ich hinkam, erzählte ich von dem leeren Grab. Die Fakten sind ja auf meiner Seite! Und tatsächlich glaubten mir auch alle – aber dennoch ließ sich niemand von seinem Irrglauben abbringen! Dieser naive Realismus allenthalben – es war zum Verzweifeln! Allenthalben rief ich: ‚Das Grab war leer, ich habe es gesehen!‘ – Ich glaube beinahe, das kann ich inzwischen in jeder Sprache. Und überall freuten sie sich nur!“

Schließlich gab Ahasver Ende des 18. Jahrhunderts auf; die Widerstände waren einfach zu groß, er drang nicht durch. Noch nicht einmal die Skeptiker wollten seine Botschaft hören, sogar sein Aufnahmegesuch in die Giordano-Bruno-Stiftung wurde ablehnend beschieden. Und aufgrund seines Berufes als Gärtner war er eh allenthalben Verdächtigungen und Vorverurteilungen ausgesetzt.

Von nun an zog er sich zurück und verbrachte seinen Urlaub damit, Rosenkränze aus den Olivenkernen seines Gartens zu knüpfen – ein schöner Nebenverdienst. Daß die historisch-kritische Methode auf Umwegen mit einer ganz ähnlichen Logik zu ganz ähnlichen Ergebnissen kam, wie er sie schon jahrhundertelang verkündigt hatte, bekam er gar nicht mehr mit.

Und sein weltveränderndes Zeugnis schlummerte all die Jahre in seiner Erinnerung und im Speicher seines Smartphones. Bis heute!


Joseph Geelhaar ist nach eigenen Angaben Professor für Oral history an der Universität Dillingen (Donau). Seine Bücher „Das leere Grab: Warum es Jesus nie gegeben hat“ und „Der Jesus-Gentest: Josef war nicht der Vater!“ sind im Tectum-Wissenschaftsverlag erschienen.

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